NEWS 3/2020
Deutsches Bundesverfassungsgericht setzt der bisherigen Narrenfreiheit der EZB Grenzen und mahnt Verhältnismäßigkeitsprüfung ein
In einem Aufsehen erregenden Urteil hat der Zweite Senat des deutschen Bundesverfassungsgerichts am 05.05.2020 entschieden, dass die EZB im Zusammenhang mit ihrem Anleihekaufprogramm PSPP ihre Kompetenzen überschritten habe. Gleiches gelte für den EuGH, der hinsichtlich der EZB seiner diesbezüglichen Kontrollaufgabe nicht nachgekommen sei.
Das PSPP ist Teil des Expanded Asset Purchase Programme (EAPP), eines Rahmenprogramms des Eurosystems zum Ankauf von Vermögenswerten. Dieses ist auf eine Ausweitung der Geldmenge gerichtet, wodurch Konsum und Investitionen gefördert und die Inflationsrate in der Eurozone auf knapp unter 2% erhöht werden soll. Bis zum 8.11.2019 wurden im Rahmen des EAPP Wertpapiere in der sagenhaften Höhe von 2.557.800 Millionen Euro erworben. Davon entfielen allein 2.088.100 Millionen Euro auf das PSPP.
Mit dem nunmehrigen Urteil qualifizierte das Bundesverfassungsgericht (nachfolgend abgekürzt: BVerfG) die PSPP-Beschlüsse des Rats der EZB - trotz der gegenteiligen Vorabentscheidung des EuGH vom 11.12.2018 – als (kompetenzwidrige) Ultra-vires-Maßnahmen. Das BVerfG kreidet dem EuGH in diesem Zusammenhang an, bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung der EZB-Beschlüsse die tatsächlichen Wirkungen außer Acht gelassen und auf eine wertende Gesamtbetrachtung verzichtet zu haben. Der Ansatz des EuGH verfehle die Anforderungen an eine nachvollziehbare Überprüfung der Einhaltung des währungspolitischen Mandats der Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) und der EZB. In diesem Zusammenhang wirft das BVerfG dem EuGH vor, das ihm in Art. 19 Abs 1 Satz 2 EUV erteilte Mandat überschritten zu haben und folgert hieraus, an die einschlägige Vorabentscheidung des EuGH daher nicht gebunden zu sein.
Daraus leitet das BVerfG ab, eigenständig beurteilen zu müssen, ob das Eurosystem mit den Beschlüssen zur Errichtung und Durchführung des PSPP noch innerhalb der ihm primärrechtlich eingeräumten Kompetenzen gehandelt zu hat. Diese Prüfung des BVerfG fiel negativ aus.
Das deutsche Höchstgericht beanstandete, die Beschlüsse des EZB-Rats beschränkten sich allein darauf, festzustellen, dass das angestrebte Inflationsziel nicht erreicht sei und weniger belastende Mittel nicht zur Verfügung stünden. Die Beschlüsse enthielten keine Prognose zu den wirtschaftspolitischen Auswirkungen des Programms sowie dazu, ob sie in einem angemessenen Verhältnis zu den erstrebten währungspolitischen Vorteilen stünden. Es fehle jede Abwägung mit den erheblichen wirtschaftspolitischen Auswirkungen, die das PSPP insgesamt mit sich bringe. Exemplarisch wird vom BVerfG hierzu etwa auf die Möglichkeit einer gleichartigen Wirkung wie Finanzhilfen nach Art. 12 ff des ESM-Vertrags verwiesen, ferner auf die Verlustrisiken für Sparvermögen, die künstliche Verlängerung der Existenz am Markt nicht mehr lebensfähiger Unternehmen sowie auf eine erhöhte Abhängigkeit von der Politik der Mitgliedstaaten, weil das Eurosystem das PSPP immer weniger ohne Gefährdung der Stabilität der Währungsunion beenden und rückabwickeln könne.
Ohne eine solche Abwägung und deren Dokumentation lasse sich die rechtliche Einhaltung des Mandats der EZB gerichtlich nicht effektiv kontrollieren. Dementsprechend hat das BVerfG der Deutschen Bundesbank in seinem Urteil untersagt, nach einer für die Abstimmung im Eurosystem notwendigen Übergangsfrist von höchstens drei Monaten an der Umsetzung und am Vollzug der verfahrensgegenständlichen EZB-Beschlüsse mitzuwirken, wenn der EZB-Rat in einem neuen Beschluss nicht nachvollziehbar darlegt, dass die mit dem PSPP angestrebten währungspolitischen Ziele nicht außer Verhältnis zu den damit verbundenen wirtschafts- und fiskalpolitischen Auswirkungen stehen.
Die mutige Entscheidung des BVerfG ist zu begrüßen. Es kann nicht angehen, dass die EZB die immensen volkswirtschaftlichen Auswirkungen, die ihre langjährige Politik des leichten und billigen Geldes im gesamten Euroraum mit sich bringt, nicht einmal mehr einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzieht. Dass diesem Vorgehen der EZB der in Art. 5 EUV verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entgegensteht, hat das BVerfG in seinem Urteil sehr überzeugend dargelegt.
Hier finden Sie den Link zur entsprechenden Pressemitteilung des BVerfG mit der Möglichkeit eines download des Urteils im Volltext.